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Fortgeschrittenes Wissen

Warum ergänzende Recherchemethoden?

Eine umfängliche bzw. sensitive Literaturrecherche umfasst neben der Literaturrecherche in Fachtdatenbanken weitere Recherchequellen (Cooper et al., 2017; Hirt, Neyer & Nordhausen, 2019). Ein Vorschlag für eine mögliche Reihenfolge für das Durchsuchen von zusätzlichen Recherchequellen wurde von Cooper et al. (2018) erarbeitet.

Es gibt verschiedene Gründe, warum eine Referenz nicht in einer Datenbank zu finden ist und daher ergänzende Recherchemethoden empfehlenswert sind (ergänzt nach Bethal & Rogers, 2019):

  • Eine Referenz ist nicht indexiert.
  • Eine Referenz ist noch nicht indexiert.
  • Eine Referenz ist nicht in der Datenbank indexiert, welche durchsucht wird.
  • Die Referenz ist fehlerhaft indexiert.
  • Die Referenz ist unvollständig indexiert.
  • Die Referenz ist in einer anderen Suchsprache indexiert.
  • Der Titel und/oder das Abstract (und/oder andere Suchfelder) werden nicht mit den Suchbegriffen adressiert.

Eine Übersichtsarbeit von Cooper et al. (2017) stellt zusätzliche Recherchemöglichkeiten mit der jeweiligen Absicht, der zur Verfügung stehenden Evidenz sowie den Vor- und Nachteilen dar. Grundsätzlich ist zu beachten, dass eine umfangreiche Literaturrecherche immer aus einer Datenbankrecherche und einer oder mehreren ergänzenden Recherchemöglichkeiten bestehen sollte (Cooper et al., 2018; Hirt et al., 2019).

Welche ergänzende(n) Recherchemethoden sollte(n) ausgewählt werden

Die Entscheidung, welche ergänzenden Recherchemöglichkeiten ausgewählt werden, sollte in Abhängigkeit vom Thema der Fragestellung sowie vom Rechercheprinzip bzw. den damit im Zusammenhang stehenden verfügbaren Ressourcen getroffen werden. Bei einem sehr neuen bzw. wenig erschlossenen Forschungsthema erscheint bspw. eine vorwärtsgerichtete Zitationssuche weniger zielführend, weil die bereits gefundenen Referenzen noch nicht alt genug sind, um selbst bereits zitiert worden zu sein. Möglicherweise eignet sich die Suche nach noch nicht veröffentlichten bzw. gerade laufenden Studien über Studienregister oder über die Kontaktierung von Expertinnen und Experten in diesem Fall besser, um weitere themenrelevante Studien zu finden. Wenn der Schwerpunkt einer spezifischen Recherche darin liegt, lediglich einige wichtige Referenzen zu finden, ist es legitim, gänzlich auf ergänzende Recherchemöglichkeiten zu verzichten. Eine sensitive Recherche mit dem Ziel, möglichst alle relevanten Referenzen zu identifizieren, könnte hingegen die Nutzung mehrerer ergänzender Recherchemöglichkeiten erfordern. Entscheidend ist daher die begründete Auswahl oder Nichtauswahl von ergänzenden Recherchemöglichkeiten.

Im Folgenden werden die fünf ergänzenden Recherchemethoden näher beschrieben.

Zitationssuche (Citation Tracking)

Zitationssuche:
Alternativ Citation Tracking genannt. Bezeichnet die Identifikation weiterer Referenzen auf Basis von einzelnen oder mehreren bereits gefundenen, relevanten Suchtreffern.

Es ist ein Oberbegriff für die rückwärtsgerichtete Zitationssuche (Backward Citation Tracking) und die vorwärtsgerichtete Zitationssuche (Forward Citation Tracking).

Rückwärtsgerichteten Zitationssuche:
Alternativ Backward Citation Tracking genannt. Suche nach Referenzen, welche vom gefundenen Treffer zitiert werden. Dabei wird das Literaturverzeichnis eines gefundenen Treffers durchsucht.

Vorwärtsgerichtete Zitationssuche:
Alternativ Forward Citation Tracking genannt. Suche nach Referenzen, welche den gefundenen Treffer zitiert haben und somit Bestandteil von deren Literaturverzeichnis sind.

Eine Eselsbrücke für die Arbeit mit den Begrifflichkeiten kann sein, die rückwärtsgerichtete Zitationssuche mit Vergangenheitssuche zu assoziieren, hingegen die vorwärtsgerichtete Zitationssuche mit Zukunftssuche.

Es liegt auf der Hand, dass die rückwärtsgerichtete Zizationssuche analog möglich ist (mithilfe der Durchsicht des Literaturverzeichnisses). Hingegen bedarf es für die vorwärtsgerichtete Suche Zitationsdatenbanken, um die zitierenden Referenzen zu identifizieren. Möglich ist dies im Gesundheitsbereich bspw. mit Web of Science, Scopus und Google Scholar sowie der Anwendung Publish or Perish.

Im Rahmen einer Literaturrecherche kann es dabei zu mehreren Runden der vorwärts- und rückwärtsgerichteten Suche kommen. Das geschieht dann, wenn durch diese Suchtechnik weitere relevante Referenzen identifiziert wurden. In diesem Fall schließt sich jeweils eine rückwärts- und vorwärtsgerichtete Suche ausgehend der neu hinzugekommenen Referenz(en) an. Im optimalen Fall schließen sich so viele Runden der vorwärts- und rückwärtsgerichteten Suche an, bis keine weiteren relevanten Referenzen identifiziert werden können.

Citation Tracking kann auch mittels Citation Chasing oder Pearling (bzw. Pearl growing) erfolgen. Dabei geht es primär darum, wesentliche und hochrelevante Referenzen oder Referenzen bestimmter Personen für das eigene Recherchevorhaben bzw. Thema zu identifizieren (Bethal & Rogers, 2019; Booth, 2008; European Network for Health Technology Assessment, 2017, S. 10; Saimbert et al., 2016, S. 164ff.). Bspw. besteht in der Web of Science Core Collection die Möglichkeit, häufig referenzierte Referenzen (Funktion: „Highly Cited“) aus dem recherchierten Forschungsbereich zu identifizieren.

Eine Weiterführung der Zitationssuche kann mit der Suche nach indirekten Zitierungen (Kozitierungen oder Co-Citations) sowohl bei der rückwärts- als auch bei der vorwärtsgerichteten Zitationssuche erfolgen.

Indirekte Zitationssuche (auf Basis der rückwärtsgerichteten Zitationssuche):
Suche nach Referenzen, welche die gleichen Referenzen zitieren wie die Ursprungsreferenz(en) (Seed References), die für die rückwärtsgerichtete Suche verwendet wurden bzw. in deren Literaturverzeichnissen sich Überschneidungen zu den Literaturverzeichnissen der Ursprungsreferenz(en) finden.

Die auf diese Weise gefundenen Referenzen nennt man kozitierende Referenzen (Co-Citing References oder zitierende der zitierten Referenz(en)). Dabei gilt tendenziell, je mehr gemeinsame Referenzen eine kozitierende Referenz mit der/den Ursprungsreferenz(en) teilt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass diese relevant ist.

Indirekte Zitationssuche (auf Basis der vorwärtsgerichteten Zitationssuche):
Suche nach Referenzen, die in den Literaturverzeichnissen der die Ursprungsreferenz(en) zitierenden Referenzen vorkommen, d. h. die von den die Ursprungsreferenz(en) zitierenden Referenzen ebenfalls zitiert werden.

Die auf diese Weise gefundenen Referenzen nennt man kozitierte Referenzen (Co-Cited References oder zitierte der zitierenden Referenz(en)). Dabei gilt tendenziell, je mehr der die Ursprungsreferenz(en) zitierenden Referenzen eine kozitierte Referenz in ihrem Literaturverzeichnis aufführen bzw. zitieren, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass diese relevant ist.

Weiterführende Informationen zum konzeptionellen Ansatz der indirekten Zitationssuche sowie zur praktischen Durchführung sind bei Belter (2016) bzw. Janssens, Gwinn, Brockman, Powell und Goodman (2020) zu finden. Zwei praktische Tools zur Anwendung und Visualisierung sind CoCites (CoCites, 2020) bzw. ConnectedPapers (ConnectedPapers, 2020).

Die folgende Abbildung veranschaulicht die verschiedenen Methoden der Zitationssuche in hierarchischer Form (Hirt, Nordhausen, Appenzeller-Herzog & Ewald, 2021):

Eine weitere Abbildung stellt die Beziehungen von direkter und indirekter Zitationssuche basierend auf einer Ursprungsreferenz dar (Hirt et al., 2021):

Bei manchen Datenbanken werden zudem auf Basis von Algorithmen weitere Referenzen beim Aufruf einer oder mehrerer Referenzen angezeigt. Bspw. bietet PubMed diesen Service via „Similar articles“ im rechten Bildschirmrand an. Der Algorithmus basiert hierbei auf inhaltlichen Zusammenhängen von Referenzen und wird mithilfe der Schlag- und Stichwörter aus den Referenzen berechnet (European Network for Health Technology Assessment, 2017, S. 10; National Center for Biotechnology Information, 2018). Bei Web of Science und Scopus existieren hingegen vergleichbare Funktionen („Related Records”), die auf Kozitierungen basieren (Belter, 2016). Es kann Datenbanken geben, bei denen die Funktionsweise der Ähnlichkeitssuche nicht transparent und nachvollziehbar beschrieben ist. Die Nutzung dieser Recherchefunktion sollte daher reflektiert erfolgen, insbesondere wenn nicht beschrieben ist, wie es zu diesen Literaturempfehlungen kommt. Gleichwohl kann der Einsatz bspw. im Rahmen einer orientierenden oder ergänzenden Recherche hilfreich sein.

Suche in Studienregistern

Die Suche in Studienregistern hat zum Ziel, laufende und abgeschlossene Studien zu identifizieren, von denen ein Studienregistereintrag vorliegt. Möglicherweise ergeben sich dabei Hinweise auf Studien, die zwar durchgeführt, jedoch (noch) nicht veröffentlicht wurden. Bei Studienregistern handelt es sich in der Regel um eigenständige Datenbanken, die ähnliche Merkmale und Funktionsweisen wie Datenbanken aufweisen. Aus diesem Grund werden Studienregister und deren Suchfunktionen sowie Charakteristika in RefHunter ähnlich wie andere Datenbanken detailliert vorgestellt. Studienprotokolle können durch eine Suche in Studienregister teilweise ebenfalls identifiziert werden. Diese sind jedoch vermehrt in Datenbanken zu finden, da Sie auch in Zeitschriften veröffentlicht werden können.

Studienautorinnen und -autoren bzw. Expertinnen und Experten

Die Kontaktaufnahme mit Studienautorinnen und -autoren bzw. Expertinnen und Experten ermöglicht die potentielle Identifikation von zusätzlichen publizierten und nicht publizierten Studien oder zusätzlichen relevanten Studiendaten. Die zu kontaktierenden Personen können aus der zuvor durchgeführten Recherche in Datenbanken als Studienautorinnen und -autoren identifiziert werden.

Des Weiteren ist es denkbar, dass es Expertinnen und Experten gibt, die nicht als Autorinnen und Autoren der bereits eingeschlossenen Studien in Erscheinung treten und nach denen mithilfe von Recherchen über gängige Suchmaschinen recherchiert werden kann. Die Befragung von Kolleginnen und Kollegen oder weiteren Fachpersonen wie bspw. Lehrende oder Professorinnen und Professoren nach Expertinnen und Experten ist ebenfalls möglich.

Hilfreich könnte des Weiteren eine Recherche mit dem einem themenbezogenen Suchstring in der Web of Science Core Collection sein, um häufig vorkommende Autorinnen und Autoren zu identifizieren, die zum jeweiligen Thema mehrere Referenzen verfasst haben. Web of Science bietet hierbei den Vorteil, dass Suchtreffer auf bestimmte Länder und/oder Personen eingegrenzt werden können. Alternativ oder bei einer fehlenden Lizenzierung der Web of Science Core Collection kann eine Recherche in PubMed PubReMiner mit einer dem Thema entsprechenden Sucheingabe durchgeführt werden (Koster, 2014). PubMed PubReMiner analysiert nach einer erfolgten Sucheingabe die Referenzen, welche in MEDLINE indexiert sind, hinsichtlich bestimmter Merkmale wie die Zeitschriften der Veröffentlichung sowie wie deren Autorinnen und Autoren nach Häufigkeit.

Weiterhin bieten viele Datenbanken die Möglichkeit, sich eine Liste aller Referenzen einzelner Studienautorinnen und -autoren bzw. Expertinnen und Experten in der Datenbank anzeigen zu lassen. Die Durchsuchung der Publikationslisten von bekannten Forschenden im jeweiligen Fachgebiet kann möglicherweise weitere relevante Referenzen identifizieren, die in der Suche nicht berücksichtigt wurden. Diese Option kann auch im Rahmen einer orientierenden Recherche genutzt werden.

Handsuche

Die Handsuche beschreibt den Vorgang, in den durchsuchten Datenbanken nicht indexierte Zeitschriften manuell nach relevanten Referenzen zu durchsuchen (Hopewell, Clarke, Lefebvre & Scherer, 2007; Lefebvre, Manheimer & Glanville, 2011; Saimbert et al., 2016). Sie ist angezeigt, wenn bspw. Zeitschriften oder Konferenzbänder mit potenziell relevanten Referenzen nicht, inkomplett oder falsch in einer Datenbank indexiert sind (Booth, Sutton & Papaionnannou, 2016; Conn et al., 2003; Cooper et al., 2018; Saimbert et al., 2016).

Dies kann analog mithilfe des Durchblätterns der definierten Zeitschriftenjahrgänge oder auch elektronisch mithilfe der Durchsicht der Archive auf der jeweiligen Zeitschriftenhomepage erfolgen. Um (nicht indexierte) Fachzeitschriften und Bücher zu identifizieren, kann die beispielhafte Auswahl der folgenden Recherchequellen behilflich sein:

  • DOAJ (Directory of Open Access Journals) (DOAJ, 2018),
  • DOAB (Directory of Open Access Books) (SemperTool, 2018),
  • ZDB (Zeitschriftendatenbank) (Deutsche Nationalbibliothek & Staatsbibliothek zu Berlin, o. J.),
  • EZB (Elektronische Zeitschriftenbibliothek) (Universitätsbibliothek Regensburg, o. J.).

Die Information, in welcher Datenbank eine Zeitschrift indexiert ist, kann über zwei Wege erfolgen. Entweder findet sich die Information über die Indexierungsorte auf der Homepage der jeweiligen Fachzeitschrift bzw. in der gedruckten Zeitschrift selbst oder der Inhalt einer Fachzeitschrift kann in den durchsuchten Datenbanken selbst (bspw. über das Suchfeld „Journal“ in MEDLINE via PubMed) gefunden werden.

Damit lässt sich ausschließen, dass die Fachzeitschrift in der Datenbank gelistet ist oder herausfinden, welche Jahrgänge der Fachzeitschrift dort indexiert sind. Auf Basis dieser Erkenntnisse können einzelne oder mehrere Zeitschriften für eine Handsuche ausgewählt werden. Wenn eine Zeitschrift in einer der Datenbanken gelistet ist, welche im Rahmen der Recherche durchsucht wurde, ist eine zusätzliche Handsuche in der Zeitschrift in der Regel nicht notwendig (Hirt et al., 2020).

Websuche

Bei der Websuche wird das Internet nach weiteren Hinweisen auf publizierte und nicht publizierte Studien durchsucht. Herausforderungen dabei sind die Möglichkeiten einer systematischen Vorgehensweise sowie die damit einhergehende Transparenz und Dokumentation dieses Prozesses. Für die Websuche können gängige oder spezifische Suchmaschinen und Meta-Suchmaschinen wie Google, Google Scholar oder etools.ch (Meta-Suchmaschine, welche die folgenden Recherchequellen gleichzeitig durchsucht: Ask, Base, Bing, DuckDuckGo, Exalead, Faroo, Fastbot, Google, Mojeek, Moose, Search, Tiger, Webliste, Wikipedia, Yahoo, Yandex) aber auch institutionelle und themenrelevante Webseiten benutzt werden. Es bietet sich an, (zentrale) Suchbegriffe der vorausgegangenen Recherche in den Datenbanken dafür zu verwenden. Inwiefern spezielle Suchmöglichkeiten oder -techniken wie bspw. Operatoren, Suchbefehle oder Trunkierungen verwendet werden können, ist in den Hilfeseiten der Suchmaschinen nachzulesen. Die Suchfunktionen und Spezifika von Google Scholar werden in RefHunter detailliert vorgestellt.